23. Juni bis 05. Juli

Der Morgen ist grau und trüb. Der aufkommende Wind wird stärker und stärker und drückt heftig auf das Heckverdeck. Mit Nikki gelingt es mir, vor den ersten Regentropfen die kleine Insel zu umrunden. Die Situation im Boot wird zunehmend ungemütlich.

Wegfahren ist schwierig bei dem Starkwind ohne das Boot vor uns zu touchieren. Der Abstand beträgt weniger als einen halben Meter. Hinter uns ragen Pfähle aus dem Wasser. Wir fragen das Paar an, ob sie gewillt sind ihr Boot ein Stück retour zu ziehen. Sie zeigen Verständnis Jetzt kann Felix vorwärts wegfahren zur nächsten Marrekrite, die geschützt in einer kleinen Bucht liegt. 

Das Schilf neigt sich im Wind.

Am nächsten Morgen setzen wir die Fahrt fort durch den Sânmar (kleiner See), weiter im Lane Fliet und gelangen in die hübsche Stadt Workum. Sie zählt zu den berühmten 11 Städten von Friesland. Sie wurden bekannt durch die traditionelle Elfstedentoch, die lange Eisschnelllauf-Tour, die durch alle elf Städte führte, wenn die Kanäle zugefroren waren. Seit der Erderwärmung ist dies Geschichte. Heute ist die Tour auch als Fahrrad- oder Bootsroute beliebt. In einem Passantenhafen am Kanal Diepe Dolte wird MY De Swel vertäut.

Uns zieht es zum Meistermaler Jopie (Jotje) Huisman. Er sagte einst: »Jenseits von Workum ist die Welt zu Ende. Im Himmel könnte es niemals schöner sein als hier.« Im gleichnamigen Museum sind seine Werke ausgestellt. Er lebte von 1922 bis 2000 und war Lumpenhändler und Maler. Er malte das Ausrangierte, das Alte, das Kaputte, weil er sah, wie wunderbar schön die Dinge waren. Sie alle erzählten die Geschichte des Lebens. Jopie sah sein Talent für die Malerei als eine Gabe an. Er hatte nie Malunterricht bekommen. Er probierte alles Mögliche aus und fühlte sich frei, dies zu tun. 

Auf holperiger Kofpsteinpflasterstrasse suchen wir den Aussichtsturm an der Ostküste des IJsselmeers auf. Die Strasse führt geradeaus durch das Workumerwaard. Ein Teil ist abgesperrt und naturbelassen und der andere Teil wird landwirtschaftlich genutzt.Tausende Vögel kommen hierher, um zu fressen, sich auszuruhen, zu mausern und zu brüten.

Eine Frau und ein Mann, beobachten den König der Wiese, die Uferschnepfe, von Aussichtsturm durch ihre Fernrohre. Wir dürfen auch ein Blick auf die Schnepfe erhaschen. Sie ist vom Aussterben gefährdet und hat hier ihren Platz gefunden. Den Winter verbringt die Schnepfe in Afrika.

Eine Pferdeherde grast im abgegrenzten Gebiet. Sie sorgen dafür, dass sich das Unkraut in Grenzen hält.

Schon seit Jahrhunderten wird das Stadtwappen an De Waag von Workum von zwei Löwen gestützt. In einigem Abstand voneinander sprühen die überdimensionalen  Löwen, wie wütende und kämpfende Katzen aufeinander. Der Löwenbrunnen wurde 2018 erstellt. In jeder der 11 Städten ist ein spezieller Brunnen zu finden. Zur Feier, als Leeuwarden 2018 Kulturhauptstadt Europas war, wurden sie von Künstlern entworfen und von den Städten realisiert. Felix und ich haben bis auf einen alle gesehen.

Ein paar Einblicke in das ehemalige Handelsstädtchen Workum. Die Giebelhäuser sind denkmalgeschützt.

Die allererste Bootsreise im 2016 führte uns nach Workum.

Wir steuern die Workumer Meersesschleuse an. Sie ist bereits von Segelbooten besetzt. Eigentlich hätte der Schleusenwärter jetzt Mittagszeit. Doch er bedient die Schleuse für uns und zwei Segelboote nochmals. Dies ist sehr grosszügig. Ansonsten sind die Schleusen strikt von 12:00 bis 13:00 geschlossen.

Ein langer Kanal entlässt uns ins IJsselmeer. In südlicher Richtung erreichen wir in zwei Stunden den Aussenhafen von Stavoren. Zu Fuss marschieren wir zum Zentrum. Von weitem sehen wir einen grossen Fisch. Sein wasserspeiendes Maul ist weit aufgerissen.

Er ist der letzte Skulpturbrunnen, der in meiner Sammlung fehlt. Der Brunnen soll symbolisch aufzeigen: »Wie grosse Fische kleine fressen« und »Das Meer gibt, das Meer nimmt«. Stavoren, vorzeiten eine reiche Hansestadt, erlebte Überschwemmungen, Seehandelskriege, versandender Hafen und Armut. Doch jedes Mal stand sie wieder auf. Das Volksmärchen »Frau von Stavoren« erzählt von der wechselhaften Geschichte. Felix hat sie 2016 aufgeschrieben.

Der Fisch spürt keine Lust Schweizermenschen zu fressen!

Der Tourismus und die grossen Yachthäfen sind die Haupteinnahme von Stavoren.

Den Binnenwasserstrassen kehren wir für eine Weile den Rücken zu. Der Wind legt kräftig zu. Alles, was im Boot lose ist, muss verstaut oder festgezurrt werden. Wir verlassen Stavoren und steuern in südwestlicher Richtung im aufgewühlten IJsselmeer nach Enkhuizen, eine ehrwürdiger alte Handelsstadt in der Provinz Nordholland. Ich habe 2019 ausführlich über die Stadt geschrieben. Der Stadthafen ist am Abend voll belegt.

Drei Hotelschiffe liegen vor Anker. Die Altstadt ist regelrecht überschwemmt von Touristen. Am Abend locke ich Felix aus dem Boot zu einem Rundgang. Im Oude Haven wird gefestet und wie! Ein Treffen der Lemsteraaks findet über das Wochenende statt. Die traditionellen friesischen Segelschiffe werden in Lemmer gebaut. Sie waren ursprünglich für den Fischfang auf dem Wattenmeer und Zuiderzee eingesetzt worden, weil ihr Tiefgang sehr gering war. Heute werden sie nicht mehr aus Holz gebaut, sonder aus Stahl und Kunststoff und dienen dem reinen Segelvergnügen.

Faktisch ist ein Museumsbesuch für den Sonntagnachmittag geplant. Doch die Lust  schwindet. Die Sommerhitze ist schuld daran. Sie setzt uns zu und macht uns träge. Bei der Westerkirk, wenige Schritte vom Museum entfernt, lädt eine Frau zu einem Orgelkonzert ein. Kurz entschlossen treten wir in die kühle Kirche ein. Der belgische Organist Benoît Mernier spielt in hohem Level und äusserst abwechslungsreich.

Wir verlassen Enkhuizen und fahren zum Navidukt Krabbersgat. Die Strasse auf dem Markermeerdamm führt unter der Doppelschleuse durch. Man stelle sich das mal vor! Der Damm trennt das IJsselmeer vom Markermeer ab.

Nachher geht es weiter um die breite Landzunge und westlich in den Klubhafen WSV Hoorn. Die Hitzewelle hat Westfriesland erreicht. Der Barometer zeigt über 32° an. Viel zu heiss, um in der Stadt zu bummeln oder ein Museum zu besuchen. Wir hatten uns 2019 ausgiebig mit dem Goldenen Zeitalter im 17. Jahrhundert befasst. Die Geschichte zog uns mächtig in den Bann. Die meiste Zeit verbringen wir mit Lesen. Zu einem Stadtrundgang am Abend schaffen wir es doch noch.

Das nächste Ziel ist Edam in südlicher Richtung. Weit draussen im Markermeer stoppt Felix den Motor und lässt den Anker hinunter. Das Markermeer ist ungefähr vier Meter tief. Nach einer Stunde Badevergnügen, bin in der Kombüse und will eine leichte Mahlzeit zu bereiten. Schlagartig kommen heftige Windböen auf. Das Boot zerrt an der Ankerkette und wippt gehörig. Wir wissen, dass ein Gewitter um 17:00 Uhr losbrechen wird. Es ist erst 14:00 Uhr. Felix zieht bei schwankendem Boot den Anker ein. Ich bringe die losen Gegenstände in Sicherheit und zurre Tisch und Stühle fest. Ostseefeeling kommt bei uns auf, bei der ruppigen Weiterfahrt zum Stadthafen in Edam. Wir erreichen ihn ohne Schaden. Das Gewitter am Abend ist ein kurzes Gastspiel. Edam, das herausgeputzte Städtchen mit dem berühmten Käse, kennen wir ebenso aus der Reise 2019. Wir schlendern am nächsten Tag gemütlich durch die Gassen.


Bei welcher Werft MY De Swel überwintern wird und eine Ganzlackieren über sich ergehen lässt, ist noch hängig. Felix hat eine Adresse von einer Werft in Enkhuizen erhalten. Er kann einen Termin für den kommenden Montag ausmachen.

Von Edam fahren wir im aufgebrachten Markermeer von West nach Ost zur Stadt Lelystad in den Batavia Haven. Lelystad ist die Hauptstadt von der Provinz Flevoland. Die Stadt verwaltet sieben Yachthäfen mit über 3000 Liegeplätzen.

Lelystad ist sehr weitläufig und verfügt über ein immenses Fahrradwegnetz. Das erfährt Felix selber. Er legt beinahe 20 km mit dem Fahrrad zurück, für einen neuen Haarschnitt, Lebensmitteleinkauf und Besuch eines Baumarktes. Die Fahrt führt ihn kreuz und quer durch Quartiere, über Wasserläufe und über grosse Strassen. Wer ohne Navigation unterwegs ist, tut sich schwer mit der Orientierung.

Mich zieht es in den Süden der Stadt, zum 400 ha grossen Naturpark, da Wisente, Rentiere, Rehe, Biber und Wasservögel leben. Kein einziges Tier, nicht einmal ein Vogel entdecke ich. Enttäuscht kehre ich zurück, erhalte aber einen Eindruck von den Fahrradwegen und der Stadt.

Das Wetter ist unbeständig, gerade richtig, um im Batavia Stad Fashion Outlet zu verweilen. 250 internationale Marken von Kleidern, Kosmetik und Hausaltgeräte sind vertreten. Auf dem Rückweg zum Boot ziehen uns weisse Giebelzelte an. Sie entpuppen sich als einen Markt. Ohne Hast und Eile flanieren die Leute von Stand zu Stand. Eine Hausband, in Woodstock-Manier, spielt auf.

Übrigens!
Kaum eine andere Nation hat eine annähernd grosse Erfahrung mit Landgewinnungsprojekten wie die Niederlande. Etwa ein Fünftel des Landes wurden dem Meer, Sümpfen und Moorgebieten seit dem Mittelalter abgetrotzt. Die ehemalige Meeresbucht Zuiderzee wurde durch Dämme vom offenen Meer abgetrennt. Es entstand der Süsswassersee IJsselmeer. Ein Viertel der Niederlande liegt heute unterhalb des Meeresspiegels.