11. Juni – 20. Juni

Der Sommerhitze zu entfliehen, besuchen wir das Maritime Science Center (Morskie Centrum Nauki), welches einem Schiffsrumpf ähnelt. Die feierliche Eröffnung fand vor ein paar Tagen statt. Mehr als 200 Exponate auf drei Etagen verteilt, informieren über die Schiffsfahrt. Unzählige Stationen laden zum Mitmachen ein. Wir jagen Mäuse, schruppen ein Schiffsdeck, tauchen ab, Steuern einen Kahn aus dem Hafen, kochen bei Seegang und vieles mehr. Es bereitet richtig Spass.

Felix hat in Erfahrung gebracht, dass die Eisenbahnklappbrücke über die Ostoder um 9.00 und 12.00 gehoben wird. Sie liess uns im 2017 schier verzweifeln. Felix bittet die Angestellte im Hafenbüro die Brückenöffnung um 12.00 für uns zu organisieren. Sie teilt mit: “Die Brücke existiert nicht mehr.“ Wir schütteln ungläubig den Kopf. Ein Mann aus dem Nebenbüro tritt herbei und bestätigt die Aussage seiner Kollegin. Der PC-Navigo hat bei der Planung des heutigen Schlages angezeigt, dass die Brücke 24 Stunden offen sei. Ob das stimmt? Gespannt lösen wir um 9.50 die Leinen, umfahren in der verzweigten Oder die Stadt Stettin und steuern in die Ostoder. Der Puls steigt.

Wahrhaftig, die alte Eisenbahnbrücke wurde abgebrochen. Brückenwärterhaus, Brückenstummel und Pfeiler zeugen von ihrer ehemaligen Existenz. Eine neue Brücke ist im Bau, die eine Durchfahrtshöhe von mindestens sechs Meter haben wird. 

Alte und neue Eisenbahnbücke

Bald passieren wir die Grenze von Polen und Deutschland. Am Bug flattert wieder der deutsche Stander. Bei Friedrichsthal steuert Felix in den Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstrasse (HOW).

Die Liegeplätze in Gratz und Mescherin gefallen uns nicht, deshalb fahren wir bis zum kleinen Hafen von Schwedt. Er ist immer noch unansehnlich wie im 2017. Aber rundherum ist in den letzten Jahren ein modernes Wassersportzentrum und Camping entstanden, welches mit Hilfe von EU-Fördergeldern finanziert ist. Die Duschen funktionieren tadellos. Sie sind in Einzelkabinen eingeteilt und ausgestattet mit Ablagen für Kleider und Duschmittel. Einen solchen Luxus treffen wir zum ersten Mal auf der Reise 2023 an. Die Waschküche strahlt geradezu vor Sauberkeit. Morgen wird ein Waschtag eingelegt.

Die Stadt Schwedt wurde wie so viele Orte, die wir besuchten, am Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu 85% zerstört. Selbst das Hohenzollerschloss verschonte die Rote Armee nicht. Wiederaufbaupläne machten die Sprengung der Schlossruine zunichte. Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 folgte eine wirtschaftliche Umstrukturierung. Die Arbeitslosigkeit stieg über 20 Prozent. Schwedt erholte sich. Plattenbauten und Strassen wurden abgerissen oder umgebaut und modernisiert. Neue farbige Wohnquartiere, Parkanlagen und Freizeiteinrichtungen entstanden. Der Altstadtkern mit seinen herausgeputzten Häusern hat seinen Reiz wiedergefunden.

Auf dem Grundstück des Schlosse setzen sich die Uckermärkischen Bühnen Schwedt in Szene.

So, die Wäsche ist erledigt. Wir verlassen die Stadt Schwedt nach zwei Tagen. MY De Swel muss sich gegen die Strömung in der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstrasse behaupten. Nach der Schleuse Hohensaaten, mit geringem Hub, geht es im Havel-Oder-Kanal weiter bis zur Marina Oberberg. 

Die gelbe Welle für den heruntergekommenen Hafen ist eine Ironie. Die Gitterstege sind schmal und glitschig. Bootswracks liegen im Hafenbecken. Andere warten an Land auf ihr Schicksal. Das Hotel scheint seine besten Jahre längsten hinter sich zu haben. Die Umgebung ist verwahrlost. Ein leeres Fabrikareal grenzt an Hafen. Hier werde ich keinen Fuss in die sanitäre Anlagen setzen. Felix ist in dieser Hinsicht weniger empfindlicher als ich.

Der Morgen ist trüb und regnerisch. Wir durchqueren den Oderberger See und fahren weiter bis zum Schiffshebewerk Niederfinow. Heute hebt uns der Trog des neuen 500-Millionen-Euro-Hebewerks in drei Minuten 35 Meter empor. Es entspricht der Anforderung des heutigen Frachtschiffsverkehrs. Kurz nach der Eröffnung im Oktober 2022 lag es wochenlang still. Das alte Hebewerk sprang ein. Es wird als Lückenbüsser und Zeitzeuge erhalten bleiben.

Jetzt befinden wir uns im Oder-Havel-Kanal.. Der Föhrenwald links und rechts des Kanals wirkt steril. Er sieht aufgeforstet aus.


Erweiterungsarbeiten des Kanals in grossem Ausmass:

Kurz vor der Einfahrt zur Marienwerder Marine rumort es im Himmel. Die Wolken entladen sich heftig. Die Wetterlage beruhigt sich zunehmens und wir fahren ein. Eine humorvolle und freundliche Hafenmeisterin schwingt das Zepter in der Marina.

Die Havel-Oder-Wasserstrasse wird jetzt abwechslungsreicher in ihrem mehrheitlich naturbelassenen Flussbett. Der langersehnte Regen hält an. Manchmal regnet es strak, dann leicht und plötzlich blitzt und donnert es. Beim Passieren der Schleuse Lehnnitz mit einem Hub von 5,6 Meter legt der Regen eine Pause ein. Wir zweigen ab in die Oranienburger Havel. Kurz vor dem Ziel ist die schmale Havel gesperrt. Ein Drachenbootrennen wird ausgetragen. An einem Baumstumpf machen wir De Swel fest und werden im Ungewissen gelassen. Nach einer gefühlten Stunde erscheint ein kleines Boot der DRLG und eskortiert uns durch. Die Stadt Oranienburg ist drei Tage lang in Festlaune.

Erneut bricht ein Gewitter aus. Beim Anlegen im Servicehafen Oranienburg verzieht es sich.

Eine Altstadt in Oranienburg suchen wir vergebens. Unerbittliche Bombardierungen in den Jahren 1944/45 zerstörten die Stadt aufgrund der kriegswichtigen Industrie. 1965 bis 2014 konnten im Stadtgebiet über 380 Blindgänger entschärft werden. Mindestens 300 weitere tickende Zeitbomben müssen aus dem Boden endgültig beseitigt werden. Oranienburg hat sich verpflichtet, in den kommenden 20 Jahren 70 Millionen Euro für die Kampfmittelsuche einzusetzen.

Aus dem holländisch inspirierten Bauwerk von Prinzessin Louise Henriette von Oranien (1627 – 1667) war um 1700 ein von französischen und italienischen Vorbildern geprägtes Schloss geworden, das fortan zu den prachtvollsten in Brandenburg gehörte.

Das Eingangsportal, erbaut 1690, blieb einzig vom Schlosspark erhalten.

Prinzessin Louise Henriette von Oranien (1627 – 1667),
ab 1646 Kurfürstin Brandenburg

Das Stadtfestwochenende ist vorüber. Im Oranienburg-Havel-Kanal ist die Sperrung weggeräumt und frei für unserer Weiterfahrt im Havel-Oder-Kanal. Das Tagesziel ist die Boots- und Yachtcenter Worseck in Henningsdorf am Havelkanal. Hier wird MY De Swel anfangs Juli aus dem Wasser gehoben und eingelagert. Felix bespricht mit dem Inhaber Q.S. Worseck die Arbeiten. Er und seine Mitarbeiter sind freundlich und nehmen unsere Anliegen ernst. Hoffentlich erwartet uns im 2024 ein Boot ohne Wasserlecks.