von Felix
Das Schöne an unserer Reise ist, dass wir keine genauen Reiseziele haben, nur kurzfristig die nächste Tagestour festlegen und uns jeden Tag überraschen lassen von neuen Orten, Häfen, Menschen.
Wir stellen fest, Zeit zu haben für alles was einem gefällt, ist der grösste Luxus den wir uns mit der Frühpension leisten können.
So bleiben wir an schönen Orten durchwegs zwei oder sogar mehrere Tage, einfach wie es passt. Damit ergeben sich manchmal ganz interessante Begegnungen mit Einheimischen oder auch anderen „Fahrenden“.
Eine solche Begegnung will ich euch nicht vorenthalten.
Wir schippern seit einigen Tagen auf der Ems flussaufwärts oder bergwärts, wie es in der nautischen Sprache heisst. Die Ems ist grösstenteils kanalisiert und mündet an der deutsch-holländischen Grenze bei Delfzijl ins Wattenmeer. Jeden Tag sind einige Schleusen zwischen 3,5 – 8 Meter Hub zu bewältigen.
Unser vorgesehenes Tagesziel, welches wir mittels Kartenmaterial und Reisebegleiter (Fachbuch) diesmal gewählt haben heisst: Yachthafen Haren / Emspark
Der Hafen ist erst ein paar Jahre alt, sehr gepflegt und verfügt über eine vorbildliche Infrastruktur. Der freundliche Hafenmeister heisst uns herzlich willkommen. Bei der Anmeldung erfahre ich, dass er früher als Kapitän zu See gefahren ist und vieles zu erzählen weiss. Deshalb beschliesse ich, ihn am nächsten Tag nochmals zu besuchen.
Ich erkläre ihm, dass ich meine Freunde und Bekannten sowie auch Shanty-KollegenInnen in der Schweiz über meine Reise orientiere und ihm deshalb gerne ein paar Fragen stelle.
Kaspar J. Schepers Kapitän a.D
Kaspar ist 69 Jahre alt. Er ist in Haren aufgewachsen und bereits sein Grossvater, sowie auch der Vater waren Seeleute. Damals war jede 2. Familie mit der Seefahrt verbunden. Grossvater wie auch Vater waren mit den sog. „Küsten Motorschiffen“ auf dem Wattenmeer unterwegs und sorgten mit ihrem spärlichen Einkommen die Familie zu erhalten.
Kaspar war oft mit seinem Vater unterwegs und lernte bereits in jungen Jahren die Schönheiten, aber auch die Launen der See kennen. Schon sehr früh, mit 15 Jahren verlor er seinen Vater. Nach Abschluss des Abiturs bewarb er sich bei der Hamburger Reederei Rhodum und erwarb dort sein Offizierspatent.
Als 1. Offizier trug er während 2 Jahren grosse Verantwortung auf verschiedenen Schiffen. Bereits mit 24 Jahren hatte er das Kapitänspatent in der Tasche. Normaler-weise sind Kapitäne 30 Jahre oder älter.
Während 25 Jahren diente er der Reederei als Kapitän und durchfuhr mit allerlei Fracht die sieben Weltmeere. Die zunehmend sinkende Anzahl von deutschen Seeleuten, bis am Schluss nur noch ein oder zwei Landsleute an Bord waren, bewogen Kaspar diesen Job aufzugeben.
Die Reederei hatte ihm ein Angebot. Der Bau von grossen Schiffen für den Transport von Autos, Schwerteilen, Containers, Eisenbahnen bedurfte die Tätigkeit mehrerer Controller zur Überwachung und Stand der Fertigungsarbeiten. Die Schiffe wurden nach China, Tschechei, Polen und Rumänien geliefert. Während 6 Jahren war dies das interessante Betätigungsfeld vom jetzigen Hafenmeister. Pensionierung mit 55 Jahren!
Seit 25 Jahren ist Kaspar Mitglied des örtlichen Shantychores. Damit wurde ein anderes Gesprächsthema aufgeschlagen und er schwärmte von einem neu zu übenden wunderschönen Lied „Voice of my Island“. Er gab mir die Noten und den Text – ich werde das Lied nun einüben – Zeit habe ich ja dafür.
Immer wieder fahren Frachtschiffe (108m lang) die Ems herunter mit Teilen von Windturbinen, welche in Aurich (ganz in der Nähe) hergestellt werden. Enercom ist der grösste Hersteller von Windanlagen in Deutschland und beschäftigt ca. 13’000 Mitarbeiter. Die Auftragslage ist sehr gut und die Anlagen werden ins nahe Holland, Nordseeküste, Dünkirchen und sogar bis China geliefert. Die Produktion in Nähe eines Binnenhafens hat ihren Grund. Bei der Anlieferung vom Werk mit LKW’s sind kurze Wege für die Schwertransporter zu bewältigen. Wegen der vielen Spezialtransporte ist die Polizei überfordert und deshalb werden vom Werk Hilfspolizisten ausgebildet, welche nur für diese Verkehrsregelung zuständig sind.
- Besonderheit: Die neueste Generation der Windturbinen wird nur noch 2 Schaufeln haben – dies sei effizienter, so die Ausführungen von Kaspar
- Der Bundesstaat Bayern blockiert den Transport von Windenergie in den Süden, da die Bauern Biogas produzieren wollen – die CSU bildet den Hauptanteil der Wähler in Bayern – ja, so funktioniert dies eben.
Dank jungem Bürgermeister (35 Jahre) hat sich vor 7 Jahren ausserhalb des kleinen Städtchens Haren die grösste Hähnchenschlachterei Europas angesiedelt. Der Betrieb beschäftigt ca. 1’250 MitarbeiterInnen – Haren hat die niederste Arbeitslosenrate in Deutschland < 1%. Die Firma Rothkötter hat riesige Lager an Futtermittel bereit gestellt, verpflichtet die über 100 Mastbetriebe bei ihnen das Futter zu beziehen und garantiert dafür Preis und Abnahme (!!??).
Jeden Tag werden 400’000 Hähnchen geschlachtet und verarbeitet. Hauptabnehmer ist Mc Donald nebst vielen anderen kleineren Gastrobetrieben. Die Firma betreibt einen eigenen Kinderhort rund um die Uhr.
Ja, dieser Hafenmeister hat viel zu erzählen und mein Bericht ist nur ein Zeitraffer.
…. last but not least … Kapitäne gibt es nur zur See, alles Andere sind Schiffsführer.
also, bis zum nächsten Klönschnak ….
Felix
Schiffsführer MY „De Swel“
YH Haren
Windturbinen warten auf den Abtransport