15. Mai bis 21. Mai
Am Morgen radeln wir auf der Ostseeseite der Insel Hiddensee zum Badeort Vitte. Er ist der Grösste und damit die »heimliche Hauptstadt«. Am Fährplatz warten zweispännige Fuhrwerke geduldig auf die einfindenden Gäste.
Zurück in Kloster suchen wir den ehemaligen Sommersitz des Dichters und Schriftstellers Gerhart Hauptmann (1862 – 1946) auf. Er war Nobelpreisträger und einflussreichster Vertreter der literarischen Moderne Deutschlands. Das Gedicht »Mondscheinlerche« entstand 1885 auf Hiddensee. In seinem Weinkeller lagerte manch edler Tropfen. Kaum ein Abend verging, an dem er nicht in kleinem Kreis mit Gästen bis weit über Mitternacht versammelt war. Fotografieren der Villa innen ist nicht gestattet. Big Brother überwacht die Räume. Ich tue es gleichwohl. Die Bilder im Blog erscheinen zu lassen, getraue ich mich aber nicht. Hauptmanns Grabstätte bei der Kirche Kloster ist schlicht gehalten.
Um die Mittagszeit lösen wir die Leinen, fahren zurück in den Strelasund, an der Insel Dänholm vorbei und um die Nase Drigge der Insel Rügen ins Gustower Wiek. Im Naturhafen im-Jaich bleibt das Boot vorerst.
Ein Sturmtief ist für zwei Tage prognostiziert. Mit E-Bikes wollen wir nach Bergen, Hauptstadt der Insel Rügen, fahren. Doch mit unseren Schweizer Mobile-Nummern ist es unmöglich, mittels Code die Bikes freizuschalten. Felix hat extra ein Körbchen für Nikki auf den Gepäckträger montiert. Das Internet im-Jaich ist veraltet und unbrauchbar. Der erste Bericht über unsere Reise und Fotos warten auf die Veröffentlichung. Wandern im Gustower Naturschutzgebiet lockt uns nicht bei dem turbulenten Wetter. Wir bleiben lieber gut geschützt im Boot.
Uns fällt die leichte Seitenlage des Bootes auf und zwar backbord. Die Türen schliessen nicht wie gewohnt. Beim Befüllen der Dieseltanks in Greifswald hätte reichlich mehr Diesel als nur 350 Liter Platz gehabt. Der Brenner für die Heizung ist wieder ausgestiegen wie in Kröslin. Die Zufuhr des Diesels ist gekappt. Ob der Bypass von einem Dieseltank zum anderen nicht funktioniere, rätselt Felix. Aber wie soll er das kontrollieren?
Just an Himmelfahrt Christi legten sich die böigen Winde. Die Fahrt im Strelasund, Greifswalder Bodden und Peenestrom bis zum kleinen Hafen in Peenemünde mutete sich feierlich an, passend zur Auffahrt.
Das Historisch-Technische Raketenmuseum Peenemünde steht in Fokus. Es beeindruckt uns, wie beim Besuch im 2017 und fordert zum Nachdenken. Die innovative Technik wirkt faszinierend – auch wenn sie eine verbrecherische Geschichte widerspiegelt.
Das Steinkohlekraftwerk sicherte die Versorgung der Anlagen mit Strom und Fernwärme.
Im Sauerstoffkraftwerk wurden täglich 65 Tonnen flüssigen Sauerstoff für die Triebwerke der Raketen produziert.
Der Bau fällt in sich zusammen. Er steht unter Denkmalsschutz.
Gedächtniskapelle. Auf der Tafel steht: DIE WIEGE DER Massengrab von 56 vermutlichen Zwangsarbeitern
RAKETEN WURDE DEN OPFERN ZUM SARG (Kyrie Eleison) der Peenemünder Versuchsanstalten.
Kurzer Einblick in die Dorfgeschichte
Sie reicht ins 13. Jahrhundert zurück. Durch die geographische Lage bedingt, wurde der dörfliche Friede häufig gestört. 1630 landete Gustav Adolf von Schweden hier mit seinem Heer und griff in den Verlauf des 30-jährigen Krieges ein. Die Peenemünder Schanze (Fort an der Nordspitze Usedoms) war in den nordischen Kriegen (1700 – 1721) und im siebenjährigen Krieg heftig von Schweden und Preussen umkämpft. Entscheidend für das Dorf und die Region war das Jahr 1936. Die nationalsozialistische Rüstungsindustrie begann die Heeresversuchsanstalt Peenemünde aufzubauen. Raketenwaffen, eine neue Variante des Tötens, wurden hier bis 1945 entwickelt und produziert unter der Leitung von Wernher von Braun. Die Dorfbewohner mussten ihre Häuser verlassen. Am Ende des 2. Weltkrieges wurde die Versuchsanstalt, die sich über 25 m² erstreckte, zerstört und die verbliebenen Gebäude gesprengt. Der Wald überwucherte mit der Zeit die Überreste. Ab 1950 etablierte sich die grösste Marine-Basis der DDR an diesem Ort. 1996 löste die Bundesmarine den Marinestützpunkt Peenemünde auf. Es war die zweite Entmilitarisierung.
Am Abend greift Felix das Problem der Heizung nochmals auf. Er studiert die Brennstoffversorgung des Bootes, öffnet die Klappe zum Motorraum und prüft die Abschaltventile der beiden Tanks. Tatsächlich, das auf backbord ist prompt zu! Sehr merkwürdig, denn die Ventile sind noch nie geschlossen worden, vermutlich wurde in der Werft Kröslin rumgewerkelt. Beim Öffnen des Ventils hören wir, wie der Diesel durch den Bypass strömt. Schwupp und De Swel liegt wieder austariert im Wasser. Die Tankuhr, die voll zeigte, sinkt auf halbvoll. Felix entlüftet den Heizbrenner. Er funktioniert wieder tadellos. Beruhigt können wir am nächsten Tag weiterreisen.
Im Peenestorm steuern wir südwärts an Wolgast vorbei, weiter im kleinen Haff und am Schluss nordöstlich im Usedomer See. Die Fahrt endet nach fünf Stunden im neuen Seezentrum Usedom. Die Fahrt ist aufgrund schmaler Fahrrinne und kräftigem Wind anstrengend gewesen. In der topmodernen Anlage, mit Fördergeldern der EU gebaut, ist die Bezahlung der Hafengebühr mit einer Kreditkarte nicht möglich. Internet ist nicht eingerichtet – hart zu verstehen.
Offener Hafen, grosser Begegnungsplatz
Der Hafen ist leer, die Saison beginne nächste Woche, so die Information.
Am Sonntagmorgen schlendern wir durch die Altstadt Usedom. Sie wirkte ausgestorben. Die Kirche ist infolge Renovation geschlossen. Wir steigen auf ausgewaschenem Weg zum Kreuz auf dem Hügel hinauf, das ebenfalls im schlechten Zustand ist. Das Kreuz erinnert an Otto von Bamberg, Bischof von Bamberg, der die Bevölkerung zum Christentum an Pfingsten 1128 gewann.
Am Nachmittag zieht es uns auf den Fahrradsattel. Von Usedom radelten wir über Wilhelmhof nach Karnin. Die Strasse entpuppt sich als eine Hauptstrasse, die stark befahren ist – beileibe kein Vergnügen! In einer Besenbeiz verköstigten wir uns. Von hier ist die zerbompte Eisenbahn-Hubbrücke gut sichtbar.
Den Rückweg nehmen wir auf der Hauptstrasse bis nach Wilhlemhof und auf dem sandigen Weg dem Usedomer See entlang. Ist das streng! Die Fahrradtour hätten wir uns schenken können. Das Positive daran ist die Bewegung und Kalorienverbrennung.